Die Vision von IQRA: Der Islam im 21. Jahrhundert – zwischen Ursprung und Zukunft

1. Einleitung

IQRA versteht den Islam als eine lebendige, sich stetig entwickelnde Religion, deren heutige Gestalt das Ergebnis eines über 1440 Jahre andauernden Prozesses historisch-kultureller Entwicklung ist.
Dieser Prozess umfasst die Erfahrungen, das Wissen und die Deutungen, die Muslime im Lauf der Geschichte gesammelt und in ihr Verständnis des Islam eingebracht haben.

Unsere Aufgabe bei IQRA besteht darin, den ursprünglichen Sinn des Korans wieder freizulegen – jenseits späterer kultureller, politischer oder ideologischer Überformungen – und seine Botschaft neu in der Gegenwart zu verstehen.


2. Historischer Kontext: Der Wandel der Auslegung

Ein Beispiel für die Entwicklung der islamischen Auslegungstradition findet sich im Koranvers:

„Bringt doch eine Schrift von Allah, die eine bessere Rechtleitung enthält als diese beiden, so will ich ihr folgen, wenn ihr wahrhaftig seid.“
(Sure Al-Qasas, Vers 49)

Al-Tabari (gest. 923 n. Chr.), der lange vor den Kreuzzügen lebte, erklärte:

„Mit diesen beiden sind die Thora und die Bibel gemeint.“

Ibn Kathir (gest. 1373 n. Chr.), der nach den Kreuzzügen wirkte, schrieb dagegen:

„Gemeint sind die Thora und der Koran.“

Diese Veränderung in der Deutung zeigt, wie stark historische Ereignisse – etwa die Kreuzzüge und ihre Folgen – das Verständnis religiöser Texte beeinflussen können.

Solche Entwicklungen finden sich an vielen Stellen im Koran und in seiner Auslegung (Tafsīr) sowie in der daraus entstandenen Rechtsprechung.


3. Unser Ansatz bei IQRA

Wir von IQRA bemühen uns, den Koran frei von späteren kulturellen und historischen Zusätzen zu lesen. Unser Ziel ist es, seine ursprüngliche Botschaft so zu verstehen, wie sie den Menschen des 7. Jahrhunderts vermittelt wurde – als universale Offenbarung für alle Zeiten.

In unseren Studien, die auf unparteiischer und wissenschaftlich fundierter Analyse beruhen, haben wir zahlreiche Erkenntnisse gewonnen, die in vielerlei Hinsicht gängigen Annahmen widersprechen.
Einige dieser Ergebnisse sind bereits auf unserer Website veröffentlicht; weitere werden in einer Reihe von Büchern erscheinen.

Wir möchten insbesondere Missverständnisse in folgenden Bereichen korrigieren:

  • das Verhältnis zwischen Islam, Christentum und Judentum,
  • die Haltung des Islam zu Bibel und Thora,
  • das wahre Verständnis von Dschihad,
  • der Umgang mit Gewalt und Nicht-Muslimen,
  • das Leben des Propheten Muhammad und die Gesellschaft seiner Zeit,
  • die Rolle und Rechte der Frau,
  • sowie die religiöse Haltung zur Homosexualität.

4. Zentrale Erkenntnisse

Unsere Forschung und Reflexion führen zu mehreren grundlegenden Einsichten:

  • Der Prophet Muhammad lebte in einer pluralistischen und multireligiösen Gesellschaft, nicht in einer abgeschlossenen, einheitlichen Gemeinschaft.
  • Der Koran ruft nicht zur Gewalt gegen Nicht-Muslime auf. Alle Verse, die Kampf oder Dschihad erwähnen, beziehen sich auf spezifische historische Kontexte und werden häufig falsch interpretiert.
  • Der Hidschab wird im Koran als Schutzmaßnahme für Frauen verstanden. In einer sicheren, respektvollen Gesellschaft besteht keine religiöse Verpflichtung, ihn zu tragen.
  • Der Koran fordert Christen und Juden auf, ihren eigenen Schriften treu zu bleiben – so wie er die Muslime dazu aufruft, dem Koran zu folgen.
  • Die Idee, andere Religionen aktiv zum Islam zu bekehren, widerspricht dem Geist des Korans, der zur gegenseitigen Anerkennung und zum Dialog aufruft.

5. Unsere Vision für die Zukunft

Unsere Arbeit basiert auf der Überzeugung, dass:

  • jede Lösung, die sich nicht an alle Muslime richtet und ihre Hoffnungen, Sorgen und Lebensrealitäten ernst nimmt, wirkungslos bleibt;
  • jede Reform, die nicht auf dem Koran gründet, langfristig scheitern muss.

Daher setzen wir uns für folgende Ziele ein:

  1. Bildung und Ausbildung:
    Aufbau einer Schule zur Ausbildung von Imamen und Predigern, die sich ausschließlich am Heiligen Koran und seiner ethischen Botschaft orientieren.
  2. Kooperation und Reform:
    Zusammenarbeit mit Organisationen weltweit, die sich für religiöse Erneuerung und Reform einsetzen – mit dem Ziel, Kräfte zu bündeln und die gesellschaftliche Realität der Muslime zu verändern.
  3. Neue Koranübersetzung:
    Erstellung einer neuen, präzisen und zeitgemäßen Übersetzung des Heiligen Koran, da viele bestehende Übersetzungen inhaltlich ungenau oder kulturell verzerrt sind.
  4. Der Islam in Europa:
    Förderung eines lokal verwurzelten, europäischen Islam, der als Teil der jeweiligen nationalen Kulturen verstanden wird – nicht als fremdes Element, sondern als Bereicherung der Gesellschaft.

6. Schlussgedanke

Die Erneuerung des Islam beginnt mit einem ehrlichen Blick in den Koran – frei von Angst, Ideologie und Überlieferungslast.
IQRA möchte Muslime und Nicht-Muslime dazu einladen, diesen Weg gemeinsam zu gehen:
einen Weg des Verstehens, der Vernunft und des Friedens.